Über die Hybris des Fremden









2004 ERSTAUFFÜHRUNG
Foto groß
INSOMNIA
von
George Tabori

Fotos

 

"Insomnia" (lat. "Schlaflosigkeit") ist der Titel einer Kurzgeschichte, eines Drehbuchs (1973), eines Films (1974) und eines Hörspiels (1986), in denen Tabori zwei Underdogs aufeinander prallen lässt.
Eine Frau, ein Mann, eine Nacht in einem kalten Zimmer.
Die Wirtin vermietet dem dunklen Fremden, der mit einer Empfehlung an die Tür klopft, ein Bett für eine Nacht: "Ohne Extras". Schnell steckt sie das Geld in ihre Handtasche, die sie nun die ganze Nacht fest an sich pressen wird. Wer weiß denn schon, was diese Ausländer im Schilde führen? Sie spricht es auch aus. Ihm ins Gesicht.
"Österreicher!", denkt anderseits der Fremde, als er hört, wie sie sich inbrünstig und lange die Zähne putzt.
Die Sache wird kompliziert, als die beiden nicht einschlafen können. Die Frau und der Mann verbringen eine verrückte Nacht miteinander, die Routinen des Zubettgehens stürzen die beiden einander Fremden in ein emotionales Chaos. Gegenwärtiges und Vergangenes vermischen sich, und für einen kurzen Augenblick der Intimität und menschlichen Nähe scheint die Überwindung der Angst und der Fremdheit zum Greifen nahe. Immer wieder versinkt eine der Personen in einem Schwebezustand zwischen Wachen, Traum und Albtraum. Reales und Irreales mischen sich. Natürlich zerrinnt der Traum am Morgen, doch ist er laut Freud ja "der Erinnerung fähig". Die Frau wird dem Fremden die bekannten "Extras" und ein geheimnisvolles "Extra" doch nicht berechnen.
Dann klettert sie, endlich allein, wieder ins Bett.
Beginnt nun die Verdrängungsarbeit?

BLICKRICHTUNG
Dies ist "das" Werk von Tabori, das Samuel Beckett in der Erzählstruktur sehr nahe kommt. Banale Handlungen werden zu Staatsaktionen, banale Sätze bedeuten die Welt. Hastig gemurmelte Bekenntnis-Monologe münden in mühselige Versuche dieselben ungeschehen zu machen.
Äußerste Bosheit, aus Angst und sozialer Prägung geboren, kämpft mit der Sehnsucht nach extremer Nähe, die zu erringen man sich nie mehr erhoffen zu dürfen, sicher ist.
Natürlich ist eine der Zielrichtungen, die Tabori immer in seinem Werk anschlägt, die Xenophobie in vielen ihrer Erscheinungsformen.
Spannend ist jedoch, wie die Wirtin ihren Zorn auf den Fremden, ihre Angst vor dem Fremden allmählich verliert: nämlich durch Erkennen des Kreatürlich-Menschlichen, dem ja alle Rassen und Schichten ausgesetzt sind. Spannend auch, wie der Fremde aus ähnlichen Erkenntnissen die Arroganz des Underdogs ablegt.
Ihr kleinbürgerliche Mief ergibt das trostlose Grundgerüst für diese Geschichte, die für uns jedoch mit einem geheimnisvollen Glück, mit einer verwirrenden Frohbotschaft endet.
Und so schließt dieses Stück auch wieder wie die "großen Spiele" Becketts: Versöhnlich, aber hoffnungslos, jedoch mit einem Glanz der Hoffnung auf einer übergeordneten Ebene.

Dieser Text wurde, nach einer angeblich desaströsen Uraufführung am Kasseler Staatstheater, vom Autor und vom Verlag generell für Bühnenaufführungen gesperrt.
Unser Ruf bei den deutschen Verlagen ist aber mittlerweile so gut, dass dieses Verdikt - vom Verlag und von Tabori selbst - für Hagnot Elischka aufgehoben wurde.
Wir werden also dieses sehr eigenwillige Tabori-Stück für die Bühne zurückgewinnen können.