Auffällig, was uns der Sokrates
aus dieser alten Männergemeinschaft da entgegenzirpt.
Seine unerbittliche Art des Befragens habe er bei der Diotima
gelernt, die Redekunst aber bei der Aspasia, der Frau des
Perikles, die auch jenem viele seiner Reden aufgesetzt habe. |
Franz Altenberger
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Der platonische Dialog war gleichsam
der Kahn, auf dem sich die schiffbrüchige ältere
Poesie samt allen ihren Kindern rettete: auf einem engen
Raum zusammengedrängt und dem einen Steuermann Sokrates
ängstlich untertänig, fuhren sie jetzt in eine
neue Welt hinein, die an dem phantastischen Bilde dieses
Aufzugs sich nie sattsehen konnte. |
Friedrich Nietzsche -
Die Geburt der Tragödie
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...Denn ihr
seht doch, dass Sokrates verliebt ist in die Schönen
und immer um sie her und außer sich über sie,
und wiederum, dass er in allem unwissend ist und nichts
weiß, wie er sich ja immer anstellt?
Jedoch das hat er sich nur so äußerlich umgetan,
inwendig aber, wenn man ihn auftut, was meint ihr wohl,
ihr Männer und Trinkgenossen, wie vieler Weisheit
und Besonnenheit er voll ist? Wisst, dass es ihn nicht
im mindesten kümmert, ob einer schön ist. Sondern
er achtet das so gering, als wohl niemand glauben möchte,
noch ob einer reich ist, oder irgendeinen der von den
Leuten am meisten gepriesenen Vorzüge hat. Er meint
vielmehr, dass alle diese Dinge nichts wert sind und dass
auch wir alle nichts sind - das sage ich euch.
Nichts als Ironie und nichts als Spiel sein ganzes Leben
lang gegen alle Menschen, so lebt er dahin.
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Alkibiades in: Das Gastmahl
(Plato)
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Im Ertragen
der Witterung aber trieb Sokrates es an jenem Feldzug
bewunderungswürdig weit, besonders einmal, als der
Frost so heftig war, wie man sich nur denken kann, und
die andern entweder gar nicht hinausgingen oder, wer es
etwa tat, wunder viel Anzug und Schuhe unterband und die
Füße einhüllte in Filz und Pelz: da ging
dieser hinaus in ebendieser Kleidung, wie er sie immer
zu tragen pflegte, und ging unbeschuht weit leichter über
das Eis hin als die anderen in Schuhen. Die Kriegsmänner
sahen ihn auch scheel an, als verachte er sie. Ein anderes
Mal war ihm etwas eingefallen, und er stand nachsinnend
darüber von morgens an einer Stelle, und da es ihm
nicht voranging, ließ er nicht nach, sondern blieb
immer forschend stehen. Nun wurde es Mittag, und die Leute
merkten es und erzählten verwundert einer dem andern,
dass Sokrates von Morgen an über etwas nachsinnend
dastünde. Endlich, als es Abend war und man gespeist
hatte, trugen einige Jonier, denn es war damals Sommer,
ihre Schlafdecken hinaus, teils um im Kühlen zu schlafen,
teils um auf ihn achtzugeben, ob er auch die Nacht über
da stehen bleiben würde. Und er blieb stehen, bis
es Morgen ward und die Sonne aufging.
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Xenophon: Memorabilien
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(...)
Sokrates: Die Tapferkeit scheint also eine Art
von Wissen zu sein. Doch nicht etwa das Wissen des Flötenblasens?
Nikias: Sie ist das Wissen von den Dingen, die man entweder
zu fürchten hat, oder die man beherzt wagen darf
Sokrates: Gut. Bei den Krankheiten ist es so, dass die
Ärzte wissen, was man zu fürchten und nicht
zu fürchten hat. Oder meinst du, die Tapferen wissen
das? Oder nennst du die Ärzte tapfer?
Nikias: Die Ärzte wissen im besten Fall nur, was
das Gesundsein und was das Kranksein ist. Ob es dagegen
für jemanden schrecklicher ist gesund zu sein als
krank - meinst du die Ärzte wüssten das? Glaubst
du nicht, dass es für viele besser wäre, von
der Krankheit nicht wieder aufzustehen, als gesund zu
werden? Und: müssen sich die, für welche also
das Sterben von Vorteil ist, vor denselben Dingen fürchten
wie die, für die das Leben von Vorteil ist?
Sokrates: Nein.
Nikias: Aber die Entscheidung darüber willst du den
Ärzten zuerkennen! Und nicht dem, der sich auf das
Gefährliche und das Unbedenkliche versteht, und den
ich eben den Tapferen nenne?
Sokrates: Jetzt verstehe ich. Nur die Hellseher sind demnach
tapfer. Denn wer sonst kann wissen, für wen es besser
ist lebendig zu sein, als tot ...
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Plato: Laches
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(...)
Wie soll man Sokrates nicht mögen: Er hatte
ein gutes Herz, war hartnäckig, intelligent, ironisch,
tolerant und gleichzeitig unbeugsam. Der athenische Philosoph
(469 bis 399 v.C.) war ein Mensch, der kein Aufhebens
von seiner Person machte, der keine Heilsprogramme verkündete,
nicht nach Gefolgschaft verlangte.
Sokrates Leben war kein dramatisches Leben - mit einer
einzigen Ausnahme: Sein Ende. Der wegen Gotteslästerung
gegen ihn angestrengte Prozess führte zum Spruch:
Tod durch Gift.
Das mit Gelassenheit angenommene Urteil hat das Bild von
Sokrates und seine Wirkung bestimmt. Er ist der Märtyrer
der Philosophie.
Aber die Meinung vom Justizmord der athenischen Demokratie
an ihrem großen Bürger ist auch manchenorts
in Frage gestellt worden. Sokrates hätte sich durch
eine gehörige Verteidigung ohne Schwierigkeiten retten
können. Sokrates habe überheblich in seinem
Trotz gegen populistische Gerichtsbarkeit und menschliche
Niedertracht die Richter verhöhnt. Er habe sich der
Hinrichtung nicht durch die leicht mögliche, und
von allen erwartete, Flucht entzogen. Sokrates habe seinen
Tod selbst bewirkt, er habe ihn gewollt.
Sokrates ist bei Plato, trotz der
Klarheit seiner Erscheinung eine bis ins leibliche geheimnisvolle
Gestalt von unverwüstlicher Gesundheit, vollkommener
Bedürfnislosigkeit (trotzdem kann er schon einmal
zu einer Hetäre ins Bett steigen) und erstaunlicher
Trinkfestigkeit - wenn er zum Trinken gezwungen wird.
So führt er einmal nach wüst durchzechter Nacht
ein tiefes philosophisches Gespräch mit Aristophanes
und Agathon. Als auch diese eingeschlafen sind, steht
er auf und geht. "Er ging ins Lykeon, badete und
brachte den ganzen Tag zu, wie er es sonst tat, und als
er so getan, begab er sich Abends nach Hause zur Ruhe."
Platos Sokrates ist hässlich
wie ein Satyr und zugleich von einer bezaubernden Anziehungskraft
auf viele Mitmenschen. Er ist unter keine Norm zu bringen,
wunderlich, unfasslich; was er ist und sagt und tut, scheint
immer auch etwas anderes bedeuten zu können.
Der PHAIDON gehört zu den wenigen "Dokumenten
der Menschheit". Die Menschen des Altertums lasen
ihn bis in späte Jahrhunderte und nahmen die Figur
des sterbenden Sokrates als neues Ideal an, anstelle jenes
älteren Heldenideals eines Achilles.
Man kann PHAIDON nicht lesen, ohne ergriffen zu werden
im Denken selber. Hier ist Anspruch ohne Fanatismus, höchste
Möglichkeit ohne Verfestigung in Moral, Sichoffenhalten
für den überraschenden Punkt der jeweiligen
Wahrheit.
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Luciano De Crescenzo
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