Versuch über das logische Denken









1995 - 2017
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PHAIDON
von Plato
URAUFFÜHRUNG

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Auffällig, was uns der Sokrates aus dieser alten Männergemeinschaft da entgegenzirpt. Seine unerbittliche Art des Befragens habe er bei der Diotima gelernt, die Redekunst aber bei der Aspasia, der Frau des Perikles, die auch jenem viele seiner Reden aufgesetzt habe.
Franz Altenberger

 

Der platonische Dialog war gleichsam der Kahn, auf dem sich die schiffbrüchige ältere Poesie samt allen ihren Kindern rettete: auf einem engen Raum zusammengedrängt und dem einen Steuermann Sokrates ängstlich untertänig, fuhren sie jetzt in eine neue Welt hinein, die an dem phantastischen Bilde dieses Aufzugs sich nie sattsehen konnte.
Friedrich Nietzsche - Die Geburt der Tragödie

 

...Denn ihr seht doch, dass Sokrates verliebt ist in die Schönen und immer um sie her und außer sich über sie, und wiederum, dass er in allem unwissend ist und nichts weiß, wie er sich ja immer anstellt?
Jedoch das hat er sich nur so äußerlich umgetan, inwendig aber, wenn man ihn auftut, was meint ihr wohl, ihr Männer und Trinkgenossen, wie vieler Weisheit und Besonnenheit er voll ist? Wisst, dass es ihn nicht im mindesten kümmert, ob einer schön ist. Sondern er achtet das so gering, als wohl niemand glauben möchte, noch ob einer reich ist, oder irgendeinen der von den Leuten am meisten gepriesenen Vorzüge hat. Er meint vielmehr, dass alle diese Dinge nichts wert sind und dass auch wir alle nichts sind - das sage ich euch.
Nichts als Ironie und nichts als Spiel sein ganzes Leben lang gegen alle Menschen, so lebt er dahin.

Alkibiades in: Das Gastmahl (Plato)


Im Ertragen der Witterung aber trieb Sokrates es an jenem Feldzug bewunderungswürdig weit, besonders einmal, als der Frost so heftig war, wie man sich nur denken kann, und die andern entweder gar nicht hinausgingen oder, wer es etwa tat, wunder viel Anzug und Schuhe unterband und die Füße einhüllte in Filz und Pelz: da ging dieser hinaus in ebendieser Kleidung, wie er sie immer zu tragen pflegte, und ging unbeschuht weit leichter über das Eis hin als die anderen in Schuhen. Die Kriegsmänner sahen ihn auch scheel an, als verachte er sie. Ein anderes Mal war ihm etwas eingefallen, und er stand nachsinnend darüber von morgens an einer Stelle, und da es ihm nicht voranging, ließ er nicht nach, sondern blieb immer forschend stehen. Nun wurde es Mittag, und die Leute merkten es und erzählten verwundert einer dem andern, dass Sokrates von Morgen an über etwas nachsinnend dastünde. Endlich, als es Abend war und man gespeist hatte, trugen einige Jonier, denn es war damals Sommer, ihre Schlafdecken hinaus, teils um im Kühlen zu schlafen, teils um auf ihn achtzugeben, ob er auch die Nacht über da stehen bleiben würde. Und er blieb stehen, bis es Morgen ward und die Sonne aufging.

Xenophon: Memorabilien

 

(...)
Sokrates: Die Tapferkeit scheint also eine Art von Wissen zu sein. Doch nicht etwa das Wissen des Flötenblasens?
Nikias: Sie ist das Wissen von den Dingen, die man entweder zu fürchten hat, oder die man beherzt wagen darf
Sokrates: Gut. Bei den Krankheiten ist es so, dass die Ärzte wissen, was man zu fürchten und nicht zu fürchten hat. Oder meinst du, die Tapferen wissen das? Oder nennst du die Ärzte tapfer?
Nikias: Die Ärzte wissen im besten Fall nur, was das Gesundsein und was das Kranksein ist. Ob es dagegen für jemanden schrecklicher ist gesund zu sein als krank - meinst du die Ärzte wüssten das? Glaubst du nicht, dass es für viele besser wäre, von der Krankheit nicht wieder aufzustehen, als gesund zu werden? Und: müssen sich die, für welche also das Sterben von Vorteil ist, vor denselben Dingen fürchten wie die, für die das Leben von Vorteil ist?
Sokrates: Nein.
Nikias: Aber die Entscheidung darüber willst du den Ärzten zuerkennen! Und nicht dem, der sich auf das Gefährliche und das Unbedenkliche versteht, und den ich eben den Tapferen nenne?
Sokrates: Jetzt verstehe ich. Nur die Hellseher sind demnach tapfer. Denn wer sonst kann wissen, für wen es besser ist lebendig zu sein, als tot ...

Plato: Laches

 

(...)
Wie soll man Sokrates nicht mögen: Er hatte ein gutes Herz, war hartnäckig, intelligent, ironisch, tolerant und gleichzeitig unbeugsam. Der athenische Philosoph (469 bis 399 v.C.) war ein Mensch, der kein Aufhebens von seiner Person machte, der keine Heilsprogramme verkündete, nicht nach Gefolgschaft verlangte.
Sokrates Leben war kein dramatisches Leben - mit einer einzigen Ausnahme: Sein Ende. Der wegen Gotteslästerung gegen ihn angestrengte Prozess führte zum Spruch: Tod durch Gift.
Das mit Gelassenheit angenommene Urteil hat das Bild von Sokrates und seine Wirkung bestimmt. Er ist der Märtyrer der Philosophie.
Aber die Meinung vom Justizmord der athenischen Demokratie an ihrem großen Bürger ist auch manchenorts in Frage gestellt worden. Sokrates hätte sich durch eine gehörige Verteidigung ohne Schwierigkeiten retten können. Sokrates habe überheblich in seinem Trotz gegen populistische Gerichtsbarkeit und menschliche Niedertracht die Richter verhöhnt. Er habe sich der Hinrichtung nicht durch die leicht mögliche, und von allen erwartete, Flucht entzogen. Sokrates habe seinen Tod selbst bewirkt, er habe ihn gewollt.
Sokrates ist bei Plato, trotz der Klarheit seiner Erscheinung eine bis ins leibliche geheimnisvolle Gestalt von unverwüstlicher Gesundheit, vollkommener Bedürfnislosigkeit (trotzdem kann er schon einmal zu einer Hetäre ins Bett steigen) und erstaunlicher Trinkfestigkeit - wenn er zum Trinken gezwungen wird. So führt er einmal nach wüst durchzechter Nacht ein tiefes philosophisches Gespräch mit Aristophanes und Agathon. Als auch diese eingeschlafen sind, steht er auf und geht. "Er ging ins Lykeon, badete und brachte den ganzen Tag zu, wie er es sonst tat, und als er so getan, begab er sich Abends nach Hause zur Ruhe."
Platos Sokrates ist hässlich wie ein Satyr und zugleich von einer bezaubernden Anziehungskraft auf viele Mitmenschen. Er ist unter keine Norm zu bringen, wunderlich, unfasslich; was er ist und sagt und tut, scheint immer auch etwas anderes bedeuten zu können.
Der PHAIDON gehört zu den wenigen "Dokumenten der Menschheit". Die Menschen des Altertums lasen ihn bis in späte Jahrhunderte und nahmen die Figur des sterbenden Sokrates als neues Ideal an, anstelle jenes älteren Heldenideals eines Achilles.
Man kann PHAIDON nicht lesen, ohne ergriffen zu werden im Denken selber. Hier ist Anspruch ohne Fanatismus, höchste Möglichkeit ohne Verfestigung in Moral, Sichoffenhalten für den überraschenden Punkt der jeweiligen Wahrheit.

Luciano De Crescenzo