Psychogramm einer Festanstellungs-Krise









1996
Foto groß
DER KONTRABASS
von
Patrick Süskind

Fotos

 

Der KONTRABASS als Soloinstrument - sieht man von seiner Glanzzeit während der Wiener Schule im 18. Jahrhundert ab - ist von den Komponisten eigentlich immer sehr stiefmütterlich behandelt worden. Obwohl der Orchesterapparat der Hochromantik immer größere Dimensionen bekam, lehnte es noch 1843 Hector Berlioz in seiner berühmten Instrumentationslehre ab, für dieses Instrument schnelle Läufe zu notieren und befürchtete ein "summendes Chaos seltsamer Geräusche und hässlicher Grunzlaute".
Auch der Vater von Johannes Brahms soll einmal geäußert haben, "ein reiner Ton auf dem Kontrabass sei ein reiner Zufall." Auch noch 1956 war in Kurt Pahlens Musiklexikon der Welt zu lesen: "Als Soloinstrument hat der Kontrabass wenig Bedeutung, da seine großen Maße weniger Beweglichkeit des Spiels gestatten als bei anderen Instrumenten, aber im Orchester ist er ein wahrhaft unerlässliches Fundament des Klanges." Obwohl die romantischen Komponisten von Wagner über Mahler (und später Richard Strauß) längst die Leistungsfähigkeiten des Kontrabasses über die alleinige Funktion als Stütz- und Harmonieinstrument hinaus erkannt hatten und ihm technisch immer mehr abforderten (die Flageolett-Griffe im "Lohengrin"-Vorspiel galten bis dahin als undurchführbar), hatten sie keine Neigung, ihm Soloaufgaben zu widmen. Auch in der Moderne mit ihren hohen technischen Schwierigkeiten findet man neben Urbanners Konzert von 1973 und Henzes "Concerto per Contrabasso" von 1966 nur wenig an Sololiteratur.
So mutet es heute wie ein Anachronismus an, dass es die Komponisten im 18. Jahrhundert waren, die erste Solowerke für den Kontrabass geschrieben haben. Man könnte meinen, sie seinen experimentierfreudiger gewesen, denn zu dieser Zeit fand der viersaitige Kontrabass (Quartenstimmung E,A,D,G) als Nachfolger der Großgamben erst Einzug in die Orchester, hinreichende Erfahrung existierten mit diesem Instrument noch nicht. Bereits 1713 hatte der Hamburger Johann Mattheson (1681-1764), Mitarbeiter Händels den Kontrabass "wegen seynes weit hin reichenden dicken Klanges" als Komponist gefordert, bedauerte aber gleichzeitig als Dirigent die Musiker, " wenn eyner diß Ungeheuer drei bis vier Stunden unabläßlich handhaben soll". Leopold Mozart war dem neuen Solo-Instrument ebenfalls sehr zugetan und meinte, man könne darauf "ungemein schöne Soli, Concerti und Trios vortragen". Auch Joseph Haydn soll sich mit Solokompositionen für Kontrabass befasst haben, die Fragmente sind aber in den Archiven verschollen. Zu Zeiten von Wolfgang Amadeus Mozart aber muss ein wahres Kontrabassfieber ausgebrochen sein: Es wird überliefert, es habe an die dreißig Konzerte gegeben, die aber alle wieder in Vergessenheit geraten sind.
Der erste reisende Kontrabass-Virtuose großen Stils war der 1763 in Venedig geborene Domenico Dragonetti, der als der Paganini des Kontrabasses galt. Von kleiner Statur, musste er auf einem Fußbänkchen stehend spielen; sogar Violinsonaten (!) meisterte er auf seinem Instrument, nachdem er es über zwei Stühle gelegt hatte. Dragonetti war ein Pionier des solistischen Kontrabassspielens, der auf weltweiten Konzertreisen für das Instrument warb. Sogar Beethoven konnte er 1799 in Wien von dessen Leistungsfähigkeit nachhaltig überzeugen, was einen Niederschlag in der späteren, dynamisch neugestalteten Kontrabassführung Beethovens gefunden haben dürfte. Mit seinem "Andante und Rondo" konnte Dragonetti die damals noch landläufige Meinung vom unsauber klingenden und grunzenden Kontrabass eindeutig widerlegen. Bei allen vertrackten Schwierigkeiten der Komposition wird hier der Bass zum Melodieinstrument mit weicher Kantilene, die den Vergleich mit dem Cello nicht zu scheuen braucht, und er beweist, dass Dragonetti mehr als nur ein Virtuose war. Der "Modernste" in diesem Dreigestirn (zu dem eigentlich noch Johann Mathias Sperger gehört) war der Italiener Giovanni Bottesini. Wie kein zweiter hat sich dieser Komponist, Konservatoriumsdirektor, Virtuose und Dirigent (er leitete die Uraufführung von Verdis "Aida") der Spezifik des Kontrabasses gewidmet. Es verwundert kaum, dass gerade Bottesinis Werke von den Solobassisten am meisten geschätzt werden. Sein h-moll-Konzert zeugt von großem musikalischen Einfallsreichtum und einer Brillanz, die ohne "Vernarrtheit ins Material" (Adorno) bei hohem technischen Anspruch dem Spieler eine große Skala an Ausdrucksmöglichkeiten bietet.
Wolfgang Ophoven

 

...Für alle Musiker eines Opernorchesters ist die Grundvergütung bei gleichem Dienstalter gleich. Darauf freilich baut sich eine Gehaltshierarchie mit einem dreistufigen Zulagensystem auf. Zusätzlich zur Grundvergütung erhalten die höchste Zulage (Stufe 1) sämtliche Solisten der Streicher, Bläser sowie von Pauke und Harfe. Die finanziell darunter liegende Zulage (Stufe 2) bekommen die Stellvertreter der Solisten, während die niedrigste (Stufe 3) an die stellvertretenden Solisten einiger Streichergruppen geht. Alle Musiker, die nicht solistisch tätig sind, die Tuttisten, erhalten ausschließlich die Grundvergütung.
Um auch die finanziellen Differenzen zwischen dem Gehalt eines Tuttisten und dem eines mit Zulagen versehenen Musikers klarzumachen, folgende Zahlen: Ein Solist verdient monatlich rund öS 5600,--mehr als ein Tuttist, beim stellvertretenden Solisten reduziert sich der Betrag auf öS 2500,--, und in der Stufe 3 beträgt er nur noch rund 1500 Schilling.
Doch sind die Gehaltsdifferenzen zwischen Solisten und Tuttisten damit keineswegs hinreichend beschrieben. Denn Solisten sind nicht selten in anderen Orchestern zusätzlich verpflichtet, wo sie wiederum höhere Gehälter beziehen als ihre tuttistisch tätigen Kollegen. Denn diese erhalten auch bei den musikalischen Gelegenheits-geschäften nur die finanziell weniger attraktiven Angebote. Zwischen einem geschäftstüchtigen Solisten und seinem Tutti-Kollegen besteht eine Gehaltsdifferenz von mehreren zehntausend Schilling.
Betrachtet man ein Opernorchester zunächst als ein Kollektiv, das aus den beiden großen Gruppen der Streicher und Bläser besteht, dann lässt sich leicht zeigen, dass der prozentuale Anteil von Bläsern unter den Musikern, die Zulagen erhalten, weitaus größer ist als bei den Streichern. Das liegt an der quantitativen Besetzung
der beiden Instrumentengruppen, sowie ihren Aufgaben im Orchester. Während die Bläsergruppen meist mit fünf oder sechs Musikern, die dasselbe Instrument spielen, besetzt sind, ist die Zahl bei den Streichern weitaus höher; sie bewegt sich zwischen zwanzig bei den ersten Geigen und neun bei den Kontrabässen. Die Instrumente innerhalb der einzelnen Streichergruppen wiederum spielen stets dieselbe Stimme, wenn nicht ausnahmsweise der Stimmführer der Gruppe ein Solo aufzuführen hat.
Bei den Bläsern hingegen verfügt auch innerhalb einer Instrumentengruppe jedes Instrument über eine eigene Stimme, so dass man generalisierend sagen kann, dass Bläser in weitaus größerem Umfang solistisch tätig sind als Streicher.
Zusammenfassend kann man sagen, dass ein großes Opernorchester eine Gehalts- und Arbeitszeithierarchie mit fünf Ebenen aufweist. An der Spitze stehen der Konzertmeister, Solocellist und Solobratscher, die über freie Verträge verfügen. Danach beginnt das vierstufige Tarifvertragssystem. Das höchste Gehalt haben die Solisten, gefolgt von ihren Stellvertretern, hinter denen die Vorspieler stehen. Das Ende der Gehaltshierarchie wird von den Tuttisten gebildet, die 48 Prozent der Orchestermusiker ausmachen. Wer am meisten mit dem höchsten Grad an repetitiver Arbeit tätig ist, muss für das geringste Gehalt am längsten arbeiten - eine Situation, die der in Industrie und Verwaltung vergleichbar ist.
Untersucht man nun jenseits der Kollektivvertrages die Sozialstruktur eines Opernorchesters unter dem Aspekt des sozialen Status einzelner Musikinstrumente, dann erweist sich die Unterscheidung in Bläser und Streicher als zu grobmaschig. Denn beide Instrumentengruppen zerfallen noch einmal in eine Reihe von Untergruppen, die nicht weniger Ursache für soziale Auseinandersetzungen sein können. ...
Franz Altenberger