Eine mehrschichtige Untersuchung informeller Prosa









1997
Foto groß
1997
KRAUTFLUT
von
Franzobel
URAUFFÜHRUNG

Fotos

 

Wir versuchten hier, unsere Freude an Franzobels Sprache und der hohen Intelligenz dieses Autors, dem Publikum weiterzugeben.
Dieser Prosatext wurde - durchaus logisch und vom Autor begrüßt - auf vier Bühnenmenschen aufgeteilt. Es entstand ein Vermutungs-Thriller, ein Denk-Krimi der feinen Sorte, mit hohem Unterhaltungswert.

Vier befreundete Menschen vermuten (Als Gesellschaftsspiel? Als Arbeit?) in die Grundkonstellationen eines fremden Eifersuchtsmordes hinein, schweifen aber dabei - von den Partnern beobachtet und gewertet - in düstere Bezirke des eigenen Seins ab, behalten aber notdürftig Disziplin und Haltung. Als Ablenkung rettet man sich oft in soziokulturelle Rundumschläge

 

... Schreibt Franzobel, dass Franzobel eigentlich kein Name ist, und dass ein Name, der kein Name ist, auch gar nicht ist. Und was nicht ist, kann auch nicht sein, noch nicht einmal Begriff, den ich mir mache, wenn ich was begreife - zum Beispiel Wirklichkeit, die wirklich ist. So stelle ich sie mir zumindest vor, denke, dass sie existiert auch außerhalb von hier, von mir. Dann denke ich in Bezeichnung Realität, und dass das Schnee von gestern ist, nehme ich Abgetretenes irgendwo wahr, wo das Bewusstsein ist, angeblich, aber das verstehst du nicht, weil du es bloß liest, nicht fühlst. Das kommt aus meiner tiefsten Lade. Doch das ändert nichts daran, dass alles, was hier vor sich geht, bloß aufgeschrieben steht, passiert in Worten: Dass sich auch nichts ändert daran, wenn es alle, die hier stehen, wirklich gibt und gab und alles so gewesen ist...

Die Musenpresse Franzobel

 

Gerda liegt noch immer im Krankenhaus; vier bis fünf Monate muss man schon rechnen, hatte der Primar gesagt und vorgerechnet, dass es bis in den Herbst dauern würde, bis sie wieder aufstehen könne, ein Kind wird sie aber nie haben. "Damit müssen sie sich abfinden", muss Fred auch noch Mitleid nehmen. Hinnehmen das Mitleid, den Körper spüren, dass da etwas ist, das zu einem gehört, irgendwie dazu. Dazu sich sagen lassen, dass es schon wieder werden wird: wird schon wieder werden. Gehört ja schließlich auch dazu: das Bein, der Bauch, das Rücken auch, das Zahn, das Kopf, das Arm, und wie das drückt, zieht und sticht, wie weh das tut, so richtig Au. Man weiß auch nicht warum, läuft jahrelang herum mit diesen Trümmern, bis plötzlich etwas einreißt, eine schlechte Angewohnheit: im Bein, im Bauch, im Rücken auch im Zahn, im Kopf. im Arm. Wie weh das tut, so richtig Au. Der Geist muss sich dann sagen lassen: da hast du's, blöde Sau. Nimm das und dort, du Gfrast. Wie weh das tut, wie grauenvoll, dass man nicht sagen kann, nicht Wörter findet, au, nicht reden kann, verdammt, nichts tun, auweh, nichts wissen und nichts, au, denken auch und au, wie weh das tut: im Bein, im Bauch, im Rücken auch, im Zahn, im Kopf, im Arm, au, jetzt mach doch endlich einen Punkt, verdammt, hör auf, du gehst mich an, mache ich alles, was du willst, las dann aber endlich los. Hinnehmen das Mitleid, den Körper spüren, die Sprache, die nicht die eigene ist, die Frau, die man nicht liebt, sie liegt im Krankenhaus, vielleicht Spital, und spürt das nun und ist doch dabei fidel und quietschvergnügt.
Die Musenpresse Franzobel

 

Keinen Mord schreiben, keine Geschichte erfinden, keine Spannung. Kein Theaterprinzip, sondern zeigen, was man damit kann, mit Text. Kein Prinzip vom Film. Weil welche wirklich so reden, so Hitzing und Wieden.
zu "Die Krautflut" Franzobel

 

Die Literatur, die verdammte, und alle Leute drumherum. Marotten, nichts als Spleens, eingeschnappt gleich alle, Starallüren, und glauben, dass sie etwas sind. Erzählen nur und stellen bloß, haben dabei nichts zu sagen, schreiben, was sie sind, und sind der Meinung, das interessiert irgendwen, ist hilfreich und zeigt auf. Poesie nennen sie es, wenn ein Sprachspiel klappt, ein alter Witz, und halten für. Schwachsinn dabei, total vertrottelt, sinnlos und banal. Von wegen wichtig - langweilig und schal, verändert nichts und hilft auch keinem, aber sag das einmal wem. Glauben mit dem Löffel gefressen zu haben, was anderen fehlt. Keine Ahnung, das Gesindel, nur wichtig genommen, dass sie endlich Ruhe geben, verblödete Bagage, hirnlose. Ich. Sagen Kunst und damit das System, so satt und oberflächlich, Rauminstallation und was man davon halten muss und was es kostet, schlagen Sammler zu und sind begeistert. Der Künstler als ein Unternehmer, im Niveau Möbeldesigner, Werbephotograph. Was für ein Witz. Vertreten überall, gutbekannt mit Kuratoren, was noch nicht gegen die Arbeit spricht, nur wider das System. Da ist die Materialverwendung, da gibt es auch Erkenntnis hie und da und gelegentlich mal eine feine Sache, kann man nichts dagegen sagen. ...
Die Musenpresse Franzobel

 

Wie ist das, wenn einer stirbt, mit dem man Jahre verbracht hat, zumindest in Gedanken, plötzlich weg ist, beuli geht und Beuschel reißt, einfach weg ist, nicht mehr da, Charlie geht und um die Ecke, sich nicht mehr rührt, bloß deppert starrt, bloß Löcher in die Luft schweigt und Fragezeichen meint. Dann ist er weg, sagt nichts mehr und meint nichts mehr und ißt nichts mehr und will nichts mehr und nicht einmal einen weiteren Mehr-Satz mehr. Reagiert einfach nicht, will nicht mehr, ist aus, wird einen kalten Arsch kriegen, aufgestellte Patschen und schnauft nicht mehr. Einfach weg, einfach dahin, hat es sich leicht gemacht, ist einfach abgekratzt und läßt zurück. Man wird sich schon zurechtfinden, wenn man kann. Man wird schon drüberkommen. Schöner Beschiß. Uns will auch noch ein Grab und einen Stein, einen Spruch und dass die Musik spielt, dass alle lachen und feiern und quietschvergnügt. Als ob das so einfach wäre? Und ratlos, wie man ist, weil plötzlich etwas fehlt, trinkt man erst einmal und spricht, erzählt Geschichten, worin das Tote lebt. Man will es ja nicht glauben. Es kann doch garnicht sein. So einfach hops und schwupp, das geht doch nicht. Was wird denn jetzt, was ehrlicher heißt: Was wird denn jetzt aus mir? So einfach so, das Schwein. Ohne Vorankündigung, die Sau. Einfach so. Niemals krank gewesen, das Aas, nie beim Doktor gewesen. Immer vergnügt, immer fidel, das Arsch. Gemeinheit, Sauerei, dem spuck ich ins Gedärm, speib in die Goschen ihm, dem Dreck. Soll Staub werden, Humus und Mist, das Schwein, denkt nur an sich, nur an sich. An sich auch wieder nicht, der arme Kerl. Was wird denn jetzt? ...
Die Musenpresse Franzobel

EINE LESEART DER RUMPFERZÄHLUNG "SEIFENOPER"


(Hargenauer ist mit Fräulein liiert,
Haurucker ist mit Frauke liiert,
Fräulein und Haurucker begehen ein einnächtliches erotisches Amusement,
Hargenauer erschießt Haurucker im Affekt.)


Prolog
Verhöhnung des Opfers durch den Mörder---Klagerede und metaphysische Überlegungen des Opfers / ---Vermutungen über die fernere Zukunft der Überlebenden.

I Teil
Metaphorische Landschaftsbeschreibung --- Hargenauer und Frauke reisen, ohne einander zu kennen in einem Zugabteil. Hargenauer philosophiert innerlich, und betrachtet in der spiegelnden Fensterscheibe die Knie von Frauke, taxiert dann routiniert, zu welcher Schicht sie seiner Meinung nach gehört
Frauke will im Nichtraucherabteil rauchen, was ihr aber von Hargenauer schroff verboten wird. Frauke begibt sich auf den Gang und taxiert nun ihrerseits ihn.

Einschub: Der II Teil will nicht warten. Haurucker und Fräulein dokumentieren die Ausschweifungen ihres Fremdgehens.

Teil I wird fortgesetzt. Frauke sinniert in Metaphern über die Landschaft. Haurucker berichtet seine Sicht über Frauke. Frauke lässt ihre vorige Landschaftsbetrachtung in eine allgemeine Weltbetrachtung der postkommunistischen Ära einfließen.
Der Zug kommt am Zielbahnhof der Beiden an. Es wird nicht klar, ob Frauke und Hargenauer ihre Bekanntschaft auszuweiten gesonnen sind.

II Teil
Fräulein denkt über die dumme Abstraktion (im hegelschen Sinne) nach.
Hauruckers Stimmung nach dem Abenteuer mit Fräulein, ist trüb. Er erkennt, dass ihm ihre Welt fremd ist. Auch ein kleiner, schwarzer Flirt von Fräulein führt nicht zu einer Erneuerung der sexuellen Anziehung, sondern, da von Haurucker nicht verstanden, in Enttäuschung, und hierauf überhaupt in einen Rundumschlag gegen die Phänomene der Warenwelt, mit der er Fräulein gleichsetzt.
Nun wird er auch Fräulein fremd.

Die Darsteller, halb die Rollen verlassend, resümieren das bisher Erlebte, erzählen die Geschichten oder Verästelungen derselben, mitsamt vermuteter Zukunftsaussichten. Man ist nicht sehr konstruktiv.

Teil III
Haurucker nimmt sich vor, Frauke alles zu beichten, da es ihm nicht gut geht.

Einschub Satyrspiel:
Haurucker jobbt im Würstelstand und wird mit einem offensichtlich betrunkenen Hargenauer und dessen Männlichkeitsbild konfrontiert, ohne zu ahnen, mit wem er da spricht.

Fortsetzung Teil III.
In Hauruckers Bude. Auch Frauke ist anwesend. Der Darsteller der Figur Hargenauers kann die Faszination, die Frauke auf die von ihm dargestellten Figur ausübt, nicht unterdrücken, und flicht eine Äußerung seiner Bewunderung in den intimen Geständnisversuch des Haurucker.
Haurucker kann sich zu keinem echten Schuldbekenntnis aufraffen, sondern schwadroniert, was den zeitweiligen Untersucher der Position "Hargenauer" zu einer ätzenden Sequenz zwingt.

Frauke zeigt sich nun doch nicht so locker, wie von ihrem Beziehungspartner erhofft. Aber in der Ahnung einer Theorie spürt sie eine mächtige Hilfe. Sie hat, trotz der starken aktuellen Enttäuschung die Hoffnung, darüber wegzukommen..

Einschub:
Die Darsteller stellen Vermutungen über die Menschentypen an, denen die Protagonisten, sollte es sich hier um eine Telenovela handeln, zuzuordnen wären. Es handelt sich dabei um ein primär sachliches Gespräch. Etwa wie innerhalb eines sozial gut eingespielten Arbeitsteams am Erkennungsamt der Kriminalpolizei.

Teil IV
Die Vermutungen werden nun auf die Gesellschaftsschicht, der dieser eigenen Humorbereitschaft, und auf dramaturgische Kriterien der Kunstgattung Telenovela, ausgedehnt, und münden endlich in den Bericht über die besondere Befragungstechnik von Hargenauer, und dem hierauf erfolgenden Geständnis von Fräulein.
Hargenauer, am Boden zerstört, bewahrt aber äußerlich den Anschein der Liberalität..

Teil V
Frauke hat Fräulein zu sich geladen, die Nebenbuhlerin kennenzulernen. Fräulein nimmt diese Einladung an, bewaffnet sich aber mit Tränengas.
Wir erfahren die liberale und couragierte Rede, die Frauke Fräulein zu halten vorhat. Aber dann nicht hält.
Die Frauen sprechen vielmehr über ihre jeweils eigenen Partner, transformieren diese blitzschnell in den Status von Minderheiten.
Nun können die beiden Frauen einander unvoreingenommen gegenübertreten. Eine jede unterliegt der Faszination durch die andere. Es kommt zu einer vorsichtig beginnenden, aber schnell wagemutig werdenden sexuellen Ausschreitung..

VI Teil.
Treffen der involvierten Männer. Sie sind jeder bereit, sich zu versöhnen. Es kommt nicht dazu, denn Hargenauers konventionelle Grundhaltung verbietet ihm, es den Frauen gleichzutun und sich der Faszination des Fremden zu ergeben. Er kann lediglich von der ritualisierten Ejakulation einer Schusswaffe Gebrauch machen.

Epilog I
Zusammenfassung der Beschreibungen des kreativen Akts durch den zeitweiligen Untersucher der Position "Haurucker". Adressiert ans Publikum.

Epilog II
Scheiternder Versuch der Definition des Begriffs "Ende" durch die zeitweilige Untersucherin der Position "Frauke". Adressiert ans Publikum.