Untersuchung einer paranoiden Persönlichkeitsstörung - Eine Weiterschreibung von Franz Kafka's "Das Schloß"









2000
Foto groß
DER FÜRST SPRICHT
von
Jan Peter Bremer
URAUFFÜHRUNG

Fotos

 

ZIELSETZUNG
Die Einschnürung der Geschichte entsteht durch die mentale Einschnürung der Entwickler. Vorführen, wie der Mensch mit all seinen Reflexen, Ticks und Stereotypen kommuniziert. Das Drama des medizinalisierten Menschen im Zeitalter Foucaults.

Der Autor legt recht gültige Empfehlungen vor, wie eine neurotische Beziehung zu führen sei.


HAUPTERZÄHLRICHTUNG
Zwei Frauen entwickeln als Spiel? - oder ist dies der Modellversuch einer neuen Form von Supervision? - oder gar eine Weitererzählung von Kafka's "Schloss"? - die Geschichte des Fürsten, der, während er auf die Ankunft eines neuen Verwalters wartet (der alte war gerade gestorben), einsam von seinem Fenster aus, überraschende Zärtlichkeiten des Küchenmädchens Maria einem Knecht gegenüber, beobachtet. Hernach führt er mit seinem Hofmeister längere Gespräche; - diese zeigen sich in der Form sehr zivilisiert, im Inhalt aber von einer seltsam verdeckten Aggressivität. In diesen Gesprächen verknüpft er Selbsterlebtes und in Gesprächen Aufgeschnapptes, zu einer neu behaupteten Realität. Meist mit destruktiver Haltung gegen den Hofmeister.
Hauptsächlich ein Erlebnis mit einem sterbenden Hund, den er eines Nachts in sein Schlafgemach geschleppt hatte, scheint ihn tief zu faszinieren.
Im späteren Gespräch mit dem inzwischen angelangten neuen Verwalter, kommt eine Komponente paranoider Obsessionen zur Hundegeschichte hinzu. Schneller und effektiver als im "normalen Leben", - begünstigt durch seine Radikalität, und durch den immanenten Opportunismus des völlig überrumpelten und überforderten neuen Verwalters, setzt sich im Fürsten, durch Aufnahme/Deutung/Bearbeitung von Information aus dem Alltagsgeschehen, eine fiktive Realität als "wahr" fest, und gebiert auch neue Varianten.
Er zwingt später den neuen Verwalter, den Hofmeister mit einer offensichtlichen Lüge zu denunzieren.
Nachdem er sich und den Verwalter in eine idyllische Situation, ähnlich der Eingangs mit dem Küchenmädchen Maria beobachteten phantasiert hat, versucht er ihn erotisch zu missbrauchen, und setzt, nach Misslingen dieser Attacke, den Verwalter in die unterprivilegiertere Stellung des Hofmeisters, der sich gerade umgebracht hatte.
Sein erster Befehl nun, ist die Suche nach einem neuen Verwalter -und der präzise Auftrag zur Einstudierung einer ritualisierten zärtlichen Begegnung des Fürsten mit demselben, die beim Begräbnis des alten Hofmeisters erstmals stattfinden soll.

Die beiden Frauen entwickeln diese Erzählung als ein Kräftemessen? - als einen Kampf?- als ein Training für mentale und logikgestützte Machtausübung in Führungspositionen?
Sie kappen Erzählstränge der jeweiligen Kontrahentin, wuchten die Geschichte in unerwartete Richtungen.
Ein Denk- und Gefühlskrimi mit psychopathologischem Schlag.


BÜHNENSITUATION
Der angedeutete Ort dieser Textuntersuchung: wohnraum-büro-seminarraum-ähnlich.
Kleidung: alltäglich-aktuell.
In einer völlig getrennten zweiten Ebene leben ein Mann und eine Frau einen beinahe völlig normalen, partnerschaftlichen(!) Büro-Alltag. Nicht immer sichtbar aber immer unhörbar, weil hinter abblendbarem Panzerglas. Ihre Bewegungsabläufe, (auch in Extremsituationen der Untersucherinnen) entsprechen immer genau denen der Haupthandlung, jedoch ist ihre endliche Deutbarkeit eine sinnvolle Büro-Handlung.
In einer dritten Ebene, noch seltener als die zweite zu sehen, leben eine Frau und ein Mann einen entspannten Wohnungs-Alltag, mit denselben Bewegungs- und Handlungssensationen wie für Ebene Zwei beschrieben.

UNTERSUCHUNGSRICHTUNGEN

"Information" erscheint wie "Energie" (im physikalischen Sinn) unauflösbar.

"Information" erzeugt am erreichten Objekt eine jeweils singuläre Wirkung.

Es zeigen sich nicht nur "Wahrheit" sondern auch "Wirklichkeit", als subjektive Phänomene.

Extreme Empfänger verarbeiten Information in einer, der Mehrheit fremden, aber nicht unverständlichen Weise.

Ist Realität ein Konstrukt, Wahrheit wirklicher ?

Wie wird Wahrheit geschaffen? Wodurch behält sie ihre Existenz?

Das Geschehen auf der Bühne entsteht selbstreferentiell und nicht narrativ.

Erzeugt wird: der Anschein ontologischer Theorienbildung.


Aus ICD10
(Internationale Klassifikation psychischer Störungen, WHO):

F22.0 wahnhafte Störung
A. Ein Wahn oder Wahnsystem mit anderen als den typischen schizophrenen Inhalten (d. h. keine völlig unmöglichen oder kulturell inakzeptablen Vorstellungen). Am häufigsten sind Verfolgungs-, Größen-, Eifersuchts-, Liebes- oder hypochondrischer Wahn.
B. Die Wahngedanken (A.) müssen mindestens drei Monate bestehen.
C. Die allgemeinen Kriterien für eine Schizophrenie werden nicht erfüllt.
D. Anhaltende Halluzinationen jeglicher Sinnesmodalität dürfen nicht vorkommen (vorübergehende oder gelegentliche akustische Halluzinationen, die nicht in der dritten Person sprechen oder laufend kommentieren, können vorkommen).
E. Depressive Symptome (oder sogar eine depressive Episode) können im Verlauf vorkommen, vorausgesetzt, die Wahngedanken bestehen auch nach Rückbildung etwaiger affektiver Symptome unverändert weiter.
F. Häufigstes Ausschlusskriterium: Kein Nachweis einer primären oder sekundären Gehirnerkrankung oder einer durch psychotrope Substanzen bedingten psychotischen Störung
Spezifizierung möglicher Subtypen:
Folgende Typen können, wenn gewünscht, unterschieden werden: Verfolgungswahn, Querulantenwahn, Beziehungswahn, Größenwahn, hypochondrischer Wahn, Eifersuchtswahn, Liebeswahn.

F24 induzierte wahnhafte Störung
A. Die Betroffenen übernehmen einen Wahn oder ein Wahnsystem einer anderen Person, die an einer unter F20 bis F23 klassifizierten Störung leidet.
B. Die betroffenen Personen haben eine außergewöhnlich enge Beziehung zueinander und leben relativ isoliert von anderen Menschen.
C. Die Betroffenen hatten die krankhafte Überzeugung nicht, bevor sie in Kontakt mit der anderen Person kamen und litten in der Vergangenheit nicht unter irgendeiner unter F20 bis F23 klassifizierten Störung.

F60.0 paranoide Persönlichkeitsstörung
A. Die allgemeinen Kriterien für eine Persönlichkeitsstörung (F60) müssen erfüllt sein.
B. Mindestens vier der folgenden Eigenschaften oder Verhaltensweisen müssen vorliegen:
1. übertriebene Empfindlichkeit auf Rückschläge und Zurücksetzungen
2. Neigung, dauerhaft Groll zu hegen, d. h. Beleidigungen, Verletzungen, oder Missachtungen werden nicht vergeben
3. Misstrauen und eine anhaltende Tendenz, Erlebtes zu verdrehen, indem neutrale oder freundliche Handlungen anderer als feindlich oder verächtlich missdeutet werden
4. Streitbarkeit und beharrliches, situationsunangemessenes Bestehen auf eigenen Rechten
5. häufiges ungerechtfertigtes Misstrauen gegenüber der sexuellen Treue des Ehe- oder Sexualpartners
6. ständige Selbstbezogenheit, besonders in Verbindung mit starker Überheblichkeit
7. häufige Beschäftigung mit unbegründeten Gedanken an Verschwörungen als Erklärungen für Ereignisse in der näheren oder weiteren Umgebung.

F60.4 histrionische Persönlichkeitsstörung
Mindestens vier der folgenden Eigenschaften oder Verhaltensweisen müssen vorliegen:
1. dramatische Selbstdarstellung, theatralisches Auftreten oder übertriebener Ausdruck von Gefühlen
2. Suggestibilität, leichte Beeinflussbarkeit durch andere oder durch Ereignisse (Umstände)
3. oberflächliche, labile Effekte
4. ständige Suche nach aufregenden Erlebnissen und Aktivitäten, in denen die Betreffenden im Mittelpunkt der Aufmerksamkeit stehen
5. unangemessen verführerisch in Erscheinung und Verhalten
6. übermäßige Beschäftigung damit, äußerlich attraktiv zu erscheinen

Egozentrik, Selbstbezogenheit, dauerndes Verlangen nach Anerkennung, fehlende Bezugnahme auf andere, leichte Verletzbarkeit der Gefühle und andauerndes manipulatives Verhalten vervollständigen des klinische Bild, sind aber für die Diagnose nicht erforderlich.