Ein Kampf um Liebe









2001
Foto groß
KATZEN HABEN SIEBEN LEBEN

von
Jenny Erpenbeck


Fotos

Autorin

 

Nach dem üblichen Prinzip sterben in der Tragödie vorwiegend Männer durch Männer. In diesem Stück sind es Frauen, die -in einem "Modell des Schreckens"- einander Gewalt antun.
Wie aus großer Distanz betrachtet zeichnen sich keine Charaktere ab, sondern Konstellationen.
Getötet, oder schwer gedemütigt, oder beides, werden:
Tochter von Mutter, Freundin von Freundin, Lehrmädchen von Chefin und umgekehrt, Ehefrau von Nebenbuhlerin und umgekehrt, Lesbe von Lesbe, kleine Verkäuferin von Künstlerin, Dienerin von Herrin und umgekehrt, Frau von einem Gott, Enkelin von Großmutter und umgekehrt.

Mit faszinierend enggeführter Sprache, Ritualen ähnlich, eröffnen die Szenen sich in Momenten, in denen der Druck auf die Figuren schon zu stark ist.

Die Situationen vermitteln die Tragik, die sie in den Alltag bringen, sehr heftig. Nur nimmt man sie dort - sofern man nicht selbst betroffen ist - in dieser Wucht selten wirklich wahr.
Ritualen ähnlich, eröffnen die Szenen sich in Momenten, in denen der Druck auf die Figuren schon unerträglich hoch ist.

Die Szenen selbst sind authentisch wirkende Dialoge, die durch Auslassung üblicher Füllwörter enggeführt werden und solcherart verdichtet, als beschleunigte Lebenssituationen wirken.
Diese Verdichtung der Szenen überrascht -und irritiert aber auch, weil man dadurch das Gefühl hat, dies alles schon einmal so gesehen oder gehört zu haben, zumindest im Kino. Es ergeben sich aufregende deja-vus, manchmal sogar (grimmig) komisch.

Den Spiel-Szenen sind jeweils klaustrophobische Chor-Suaden aus einer anderen Ebene vorangestellt. Durch diese zwischengeschalteten chorischen Stellen dürfte sich ein Verdacht zusehends erhärten: Dies alles spielt sich vielleicht in einem einzigen menschlichen Nervensystem ab, und ist nur durch Hirnspaltung sicht- und erlebbar gemacht.

Seine Musikalität, die chorischen Einlagen, die Unmöglichkeit dem Schicksal (das heißt hier: der eigenen gewalttätigen Natur) zu entkommen, all das erinnert an die antike Tragödie, die energische Sprache der Handlungen ans Ritual. Doch werden im grellen Licht dieses Stückes ganz alltägliche Beziehungsstrukturen seziert, bis ihr mörderischer Grund freiliegt. Der gegenseitige Mord erscheint hier als die einzige Möglichkeit, endlich zusammen zu kommen.

Die beiden Figuren und auch ihr Verhältnis zueinander sind dabei ständigen Verwandlungen unterworfen, und sich selbst definieren die zwei Frauen vor allem durch den Kampf gegeneinander. Es ist eine nicht endenwollende Suche nach der eigenen Persönlichkeit, die nur zu finden scheint, wer sich gegen den anderen abgrenzt, ihn verletzt.
Positionen von Macht und Hingabe, Innigkeit und Zugriff, Verweigerung und Benutzen, Abhängigkeit und Vertrauen sind die Pole, die die beiden Frauen umkreisen; jeweils so lange, bis eine der beiden stirbt.
Vertraut erscheinende Szenen des Lebens, die tödlich enden, innerlich, und nach denen man dennoch weiterlebt, irgendwie.

Es ist eine starke Intensität des Erlebens, wenn auch, so scheint es, im Negativen - doch gerade dort geraten den beiden Frauen die lebendigsten, lustvollsten und auch komischsten Begegnungen, als sei das scheinbare Unglück letztendlich doch der Ort, an dem wir uns einrichten um glücklich zu sein für Momente.

Der Text soll, nach Meinung der Autorin, keinesfalls als "Frauenstück" missverstanden werden.
"Es geht darum zu untersuchen, wie Menschen eigentlich sich in Positionen von Macht und Ohnmacht verhalten, wie sie miteinander handeln. Aufgrund der Konvention glaubt man Situationen beschrieben, wie sie für Frauen typisch sind. Sicher aber sind ähnliche Haltungen des Gebens, Nehmens, der Verweigerung, des Benutzens auch bei Männern zu finden. Grundlegend für die Verhaltensweisen sind soziale Konstellationen ? wie Konkurrenz, Abhängigkeit, Vertrauen."

Ein faszinierendes Element im Textaufbau dürfte dem Umstand zuzuschreiben sein, daß die Autorin hauptberuflich mit der Oper befasst ist. Mit klaren und strengen Formen, mit Rhythmus und Tempowechseln schreibt sie ihre Welt in die Figuren und Situationen ein. Auf der Grundlage einer überhöhten Realität entsteht, trotz betont lapidarer, privatistischer Haltung der Figuren, eine hochgezogene Tragödienform. Rituale der Vernichtung.

 

"Mir ging es darum, den Anspruch, man könne nur von ausschließlich einem Standpunkt aus Recht haben, zu relativieren. Es ist doch ein uraltes Prinzip in der Tragödie, dass beide Parteien recht haben. Der Kampf, den die beiden Figuren in diesem Stück gegeneinander führen, schlägt meist wieder auf sie selbst zurück.
Ich glaube dass jeder Mensch gleichzeitig viele ist, immer wieder ein anderer, je nachdem, zu wem er sich verhält. Ich habe versucht, das auseinanderzulegen. Mir selbst ist es häufig so gegangen, dass ich mit meiner Überzeugung auf einer bestimmten Seite gestanden bin, aber schon kurze Zeit später auf einer anderen, vielleicht sogar entgegengesetzten.
Man benötigt ja vielleicht Überzeugungen um existieren zu können, die aber verändern sich. Und es kann vorkommen, dass man in anderen Leuten plötzlich sich selbst wiederbegegnet -und sie womöglich hasst, weil sie eine Position vertreten, die man kürzlich überwunden hatte."
Jenny Erpenbeck

 

AUTORIN

Jenny Erpenbeck, Autorin und freie Opernregisseurin, stammt aus einer (ost)deutschen Schriftstellerfamilie; geb. 1967 in Berlin, lebt in Graz.

Buchbinderlehre, dann Regiestudium an der Hochschule für Musik "Hanns Eisler" Berlin; Assistenzen bei Ruth Berghaus, Heiner Müller, Peter Konwitschny, Werner Herzog.

Literarische Arbeiten:

"Herr Kennedy muss ein sehr böser Mann gewesen sein” (Opernlibretto),

Aufsehen erregt hat Jenny Erpenbeck letztes Jahr mit ihrem Debutroman "Geschichte vom alten Kind": Darin wird ein weibliches Wesen beschrieben, das hin­ter seinem unförmigen Körper zu verschwinden versucht, um sich dem Erwachsenwerden zu entziehen.

 

Früher war nämlich unsere Natur nicht dieselbe wie jetzt, sondern andrer Art. Anfangs gab es bei den Menschen drei Geschlechter. Das dritte Geschlecht ist verschwunden, sein Name noch übrig. Mannweiblich: - Männlich und Weiblich zusammengesetzt - jetzt aber ist der Name ins Schimpfliche gewendet. Damals war die ganze Gestalt jedes Menschen rund, er hatte vier Hände, und ebenso viele Beine und zwei Gesichter auf kreisrundem Nacken. Und zu den zwei gegen­übergestellten Gesichtern nur einen Kopf und vier Ohren und zwei Schamteile und alles andre, wie man es sich hiernach vorstellen kann. Er ging auch aufrecht wie wir heute, wohin er wollte. Wenn er aber schnell laufen wollte, so bewegte er sich, so wie die Radschlagenden die Beine nach oben herumwerfend einen Kreis be­schreiben, schnell von seinen acht Gliedmaßen getragen im Kreise davon. Die Zahl und Beschaffenheit dieser drei Geschlechter kam daher, dass das Männliche ur­sprünglich von der Sonne stammte, das Weibliche von der Erde, das Gemischte vom Monde, weil ja der Mond an beiden teilhat. Sie waren ge­waltig an Kraft und Stärke und waren großen Sinnes, ja, sie unternahmen es, den Himmel zu ersteigen, um die Göt­ter anzugreifen.
Da ratschlagten Zeus und die andern Götter, was sie tun sollten, und waren in Verlegenheit. Denn es war ihnen nicht möglich, sie wie die Giganten mit dem Donner zu erschlagen und ihr Geschlecht zu vertilgen – denn dann wären ihnen ja auch die Opfergaben der Menschen vertilgt worden - aber sie konnten auch nicht den Frevel hingehn lassen. End­lich hatte Zeus etwas ersonnen, und er sagte: Ich glaube ein Mittel zu haben, wie die Menschen bleiben und doch von ihrem Übermut ablassen, indem sie schwächer werden. Jetzt durchschneide ich sie nämlich, jeden in zwei Teile, und so wie sie schwächer werden, werden sie uns auch nützlicher sein, weil sie ja an Zahl mehr geworden sind, und also insgesamt mehr Opfer bringen werden. Wenn sie sich aber weiter erfrechen und nicht Ruhe halten, werde ich sie, sprach er, noch einmal entzwei-schneiden, so dass sie sich auf einem Bein fortbewegen wie beim Sackhüpfen. Dies gesagt, zerschnitt er die Menschen in zwei Hälften, wie man Birnen zer­schneidet, um sie einzumachen. Und immer wenn er einen zerschnitten hatte, hieß er Apollo, diesem das Gesicht und den halben Hals nach der Schnittfläche herumzudrehen, damit der Mensch, seine Zerschneidung be­trachtend, bescheidener werde. Jener drehte also das Gesicht herum, zog von allen Seiten die Haut über das, was jetzt Bauch heißt, zusammen und band es mitten auf dem Bauche ab, was man jetzt Nabel nennt.
Nachdem nun so die menschliche Natur entzweigeschnitten war, ging jede Hälfte sehnsüchtig ihrer andern Hälfte nach, und indem sie sich mit den Armen umschlangen und sich zusammenflochten voll Begierde zusammenzu­wachsen, starben sie aus Hunger und gänzlicher Untätigkeit, weil sie nichts getrennt voneinander tun woll­ten. Und so gingen sie zugrunde. Da erbarmte sich Zeus und erfand eine andere Hilfe: er versetzte ihre Schamteile nach vorn. Denn bisher trugen sie diese außen, und sie zeug­ten in die Erde wie die Zikaden. So versetzte er sie nun nach vorn und machte, dass sie ineinander zeugten, damit in der Umarmung ein Mann, wenn er mit einem Weibe zusammenkommt, zeugt und Nachkommenschaft entsteht; wenn aber Männliches mit Männlichem, ihnen wenigstens Sättigung würde aus der Vereinigung und sie sich beruhigten und zum Werke wendeten und auf das himmlische Leben bedacht seien.
So lange schon ist die Liebe zueinander den Menschen eingepflanzt, stre­bend aus zweien Eins zu machen.
Daher ist jeder von uns das Gegenstück zu einem Menschen, weil wir aus einem in zweie geschnitten wurden. Ewig sucht jeder sein Ge­genstück. Alle Männer, welche ein Stück von dem ge­mischten Geschlecht sind, das damals mannweiblich hieß, lieben das Weib. Die Ehebrecher entstammen diesem Geschlecht, und die Frauen, die den Mann lieben und ehebrecherisch sind, entstammen auch die­sem Geschlecht. Und alle Frauen, die Stücke eines Weibes sind, richten den Sinn nicht sehr auf die Män­ner, sondern halten sich mehr an die Frauen. Alle, die Stücke des männlichen sind, folgen dem Männlichen, und als Knaben lieben sie die Männer und sind froh, wenn sie bei den Männern liegen und sie umarmen. Und diese sind die besten unter den Knaben und Jünglingen, weil sie von Natur die mannhaftesten sind. Manche sagen, sie seien schamlos, aber das ist Lüge, denn sie tun nicht aus Schamlosigkeit so, sondern aus Mut und Mannheit und Männlichkeit: das ihnen Ähnliche haben sie gern. Das ist sicher bewiesen: Denn diese allein landen, wenn sie zu Männern gereift sind, im Staatsleben. Nachdem sie erwachsen sind, lieben sie Knaben, und auf Ehe und Kinderzeugung lenken sie nicht von Natur den Sinn, sondern sie werden durch das Gesetz genötigt. Sie selbst wären zufrieden, miteinander ehelos zu leben. Immerdar muss ein solcher Knaben und Freunde lieben, weil er immer das Verwandte gern hat.
W
enn nun einer oder eine auf seine oder ihre eigene Hälfte selbst trifft, dann werden sie wunderbar erschüttert von Freundschaft und Vertrautheit und Liebe und wollen voneinander nicht lassen, auch nicht einen Augenblick. Diese sind es auch, die gemeinsam das ganze Leben zubringen und nicht einmal zu sagen wüssten, was sie voneinander haben wollen. Denn es kann doch wohl nicht die Gemeinschaft des Liebesgenusses sein, deretwegen der eine dem andern sich so froh und mit so großem Eifer vereint, sondern etwas andres will offenbar die Seele der beiden, was sie aber nicht sagen kann. aber in Zeichen und in Rätseln verkündet sie uns ihr Wollen.
Schuld daran ist, dass wir ursprünglich ganz waren. Früher waren wir eben ein Wesen.
Und diese Begierde und die Jagd nach der verlorenen Ganzheit trägt den Namen Eros.

Rede des Aristophanes aus Platons Symposion